#91: Der Female Gaze in der Marktkommunikation
- Marketing Natives

- 2. Nov.
- 5 Min. Lesezeit
Wie Marken mit weiblicher Perspektive neue Emotionen wecken
Wann wurde in einer Werbung zuletzt nicht auf Frauen geblickt, sondern aus ihrer Sicht erzählt?
Diese Frage beschreibt einen grundlegenden Wandel in der Markenkommunikation. Immer mehr Kampagnen verabschieden sich vom männlich dominierten Blick auf Weiblichkeit – dem sogenannten Male Gaze – und rücken stattdessen authentische Erlebnisse, Emotionen und Selbstbestimmung in den Fokus.
Der Begriff Male Gaze beschreibt eine Darstellungsweise, in der Frauen hauptsächlich als Objekte männlicher Betrachtung gezeigt werden – passiv, sexualisiert und auf äußere Wirkung reduziert. Der Female Gaze hingegen richtet den Blick aus weiblicher Perspektive. Er legt den Fokus auf Selbstbestimmung, emotionale Authentizität und individuelle Wahrnehmung und zeigt Frauen als aktive, selbstbewusste Personen mit eigener Sichtweise.
Ein anschauliches Beispiel liefert die Influencerin @sophiadorena in einem Instagram-Video mit den beiden Outfits „Dressing for the male gaze“ und „vs dressing for the female gaze“. Im ersten Look steht die körperbetonte Kleidung im Vordergrund – eng geschnittene Hose und figurbetontes Top – was den klassischen Male Gaze visualisiert, der Weiblichkeit über Attraktivität definiert. Im zweiten Look zeigt sie sich in einem eleganten, locker fallenden weißen Outfit, das Stil, Selbstbewusstsein und Komfort betont – eine Ästhetik, die dem Female Gaze entspricht, weil sie weibliche Selbstwahrnehmung und Individualität hervorhebt.


Abbildung 1: Dressing for the male vs. female gaze – which look is your favourite? (Instagram Reel). From Instagram (2025). Retrieved October 27, 2025, from https://www.instagram.com/reel/DGtGqXCsfcz/
Abbildung 2: Dressing for the male vs. female gaze – which look is your favourite? (Instagram Reel). From Instagram (2025). Retrieved October 27, 2025, from https://www.instagram.com/reel/DGtGqXCsfcz/
Der sogenannte Female Gaze verändert dabei nicht nur, wie Frauen dargestellt werden, sondern auch, wie Marken ihre Zielgruppen emotional ansprechen. Dieser Artikel wurde von Elisa Weinzierl und Franziska Lehner, Studentinnen des Bachelorstudiums Marketing & Kommunikation an der Universität der angewandten Wissenschaften St. Pölten verfasst.
Lange Zeit waren weibliche Körper in der Werbung Mittel zur Aufmerksamkeitserzeugung. Der Male Gaze inszenierte Frauen als Objekte des Sehens, nicht als handelnde Subjekte. Inzwischen aber fordern Konsument:innen neue Perspektiven: weniger Inszenierung, mehr Echtheit. Der Female Gaze bietet dafür den passenden Rahmen. Er beschreibt eine Erzählweise, die Emotionen, individuelle Perspektiven und Authentizität betont und dadurch Verständnis und Nähe fördert.
Für einen noch tieferen Einblick in den Female Gaze empfehlen wir das folgende Video:
Ein Perspektivwechsel in der Markenkommunikation
Dieser Perspektivwechsel hat weitreichende Auswirkungen auf Markenkommunikation und Markenbindung. Kampagnen, die auf Selbstbestimmung, Empathie und Vielfalt setzen, wirken besonders bei weiblichen Zielgruppen authentischer und fördern eine stärkere Identifikation mit der Marke – vor allem, wenn diese Werte glaubwürdig in ihrer Haltung verankert sind. Der Female Gaze entwickelt sich damit zu einem ganzheitlichen Ansatz, der emotionale Nähe und Glaubwürdigkeit in den Mittelpunkt rückt.
Diese Entwicklung zeigt zugleich, wie stark sich Darstellungen in der Werbung auf das Selbstbild von Konsument:innen auswirken können. Idealisiertes Werbematerial kann das Selbstbild von Frauen negativ beeinflussen, während realistische und vielfältige Darstellungen das Gefühl von Repräsentation und Selbstwert stärken. Für Marken wird damit deutlich, dass Authentizität kein optionales Merkmal, sondern ein entscheidender Erfolgsfaktor ist.
Der Female Gaze verschiebt den Fokus vom Körper zur Emotion. Er erzählt Geschichten, die nahbar sind und Lebensrealitäten widerspiegeln. Die Wirksamkeit des Female Gaze hängt insbesondere davon ab, wie konsequent und glaubwürdig Marken diese Perspektive langfristig in ihre Identität einbinden.
Marken wie „Dove“ zeigen, wie dieser Ansatz praktisch wirkt. In ihren Kampagnen werden reale Frauen mit unterschiedlichen Körpern, Hautfarben und Lebensrealitäten gezeigt – nicht als Objekte, sondern als Frauen, die ihre eigene Geschichte erzählen. Ebenso wichtig ist die emotionale Erzählweise: Der Blick richtet sich nicht auf den Körper, sondern folgt der inneren Perspektive – wie sich jemand fühlt, nicht nur, wie jemand aussieht. Diese emotionale Innenansicht fördert Nähe und Empathie und unterscheidet den Female Gaze deutlich von klassischen Werbestrategien, die auf Distanz und Idealbilder setzen.

Abbildung 3: Evolution of the Real Beauty Pledge. Adapted from The Dove Real Beauty Pledge (2025, April 15), by Dove. Copyright 2025 by Unilever. Retrieved from https://www.dove.com/us/en/campaigns/purpose/real-beauty-pledge.html
Letztlich erfordert die Umsetzung des Female Gaze ein langfristiges Commitment zu Vielfalt, Empathie und Ehrlichkeit. Nur wenn diese Werte konsequent in der Markenidentität verankert sind, kann die weibliche Perspektive glaubwürdig vermittelt und als strategische Stärke genutzt werden.
Die Herausforderungen des Female Gaze
Die Umsetzung des Female Gaze bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich – und nicht jedes Unternehmen steht dabei vor denselben Fragen. Zunächst müssen Marken für sich klären, ob und in welcher Form sie diese Perspektive in ihre Kommunikation integrieren wollen. Der Female Gaze erfordert mehr als nur eine visuelle Anpassung: Er setzt eine authentische Haltung voraus, die zu den Werten und Zielgruppen der Marke passt.
Gerade hier liegt ein schmaler Grat zwischen echter Überzeugung und reiner Imagepflege. Wenn Unternehmen feministische Botschaften lediglich als kurzfristige Werbestrategie einsetzen, ohne sie in ihrer Unternehmenskultur zu verankern, verlieren Kampagnen an Glaubwürdigkeit. Dieser Effekt, bekannt als „Femvertising“, kann das Vertrauen der Konsument:innen schwächen, wenn Werte nicht konsistent kommuniziert und im Handeln des Unternehmens sichtbar werden.
Fazit
Der Female Gaze steht für einen Perspektivwechsel, der über visuelle Ästhetik hinausgeht. Er verändert, wie Marken Geschichten erzählen, welche Emotionen sie ansprechen und wie sie gesellschaftliche Verantwortung vermitteln. Dabei geht es nicht darum, den männlichen Blick einfach durch einen weiblichen zu ersetzen, sondern um die Erweiterung von Perspektiven: Frauen werden nicht länger nur betrachtet, sondern gestalten aktiv mit. So entstehen authentische Erzählweisen, die Nähe, Vielfalt und Selbstbestimmung in den Mittelpunkt rücken.
Der Wandel vom Male Gaze zum Female Gaze ist somit mehr als ein ästhetischer Trend – er steht für ein kulturelles und kommunikatives Umdenken. Marken, die diese Haltung glaubwürdig in ihrer Identität verankern, schaffen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern fördern ein tieferes Verständnis von Gleichberechtigung und gesellschaftlicher Relevanz. Und dennoch bleibt eine spannende Frage offen:
Erweitern wir mit dem Female Gaze wirklich den Blick – oder verschieben wir ihn nur auf eine andere Seite?
Quellen:
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Autorin: Weinzierl Elisa schließt im Sommer 2026 ihr Bachelorstudium „Marketing & Kommunikation“ an der FH St. Pölten ab.

Autorin: Lehner Franziska schließt im Sommer 2026 ihr Bachelorstudium „Marketing & Kommunikation“ an der FH St. Pölten ab.

Autorin: Barbara Klinser-Kammerzelt FH St. Pölten FH-Dozentin im Bachelor Marketing & Kommunikation, Master Digital Marketing & Kommunikation Lehrgangsleitung Werbung & Markenführung
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